Reifen Innovationen – was gibt es Neues auf dem Markt?

von | 15. Nov. 2021

Im aktuellen Blogbeitrag setzen wir uns mit den aktuellen Trends und Innovationen in der Reifen-Industrie auseinander und haben dafür ein spannendes Interview mit Michael Koch von Continental Reifen Deutschland GmbH geführt.

Michael Koch ist aktuell in der Produktentwicklung der Reifen für Nutzfahrzeuge tätig und fokussiert sich seit 2017 auf die Elektrifizierung der Nutzfahrzeuge und ihre Reifenanforderungen. Ein spannendes Thema, das die Automobil- und Nutzfahrzeugindustrie in den letzten Jahren immer mehr beschäftigt.

Herr Koch, Sie wirken bei der Entwicklung von Reifen für Nutzfahrzeuge mit – gibt es Neuigkeiten auf dem Reifenmarkt bei den Nutzfahrzeugen?

Michael Koch: Was wir generell als Trend aus den letzten Jahren sehen – sicherlich auch durch die immer strikter werdenden CO2 Regulierungen – ist, dass die Reifen kontinuierlich immer besser im Rollwiderstand werden. Im Endeffekt sind technologische Innovationen notwendig, um die Reifen im Rollwiderstand besser zu machen, sprich, den Verbrauch zu optimieren. Auf der anderen Seite sollten zur gleichen Zeit keine Nachteile bei der Laufleistung der Reifen generiert werden.

Das ist ein direkter Zielkonflikt und dafür sind technologische Entwicklungen und technologischer Fortschritt notwendig, wie beispielsweise neue Profile mit besser abgestimmten Profilelementen, aber letztendlich auch Laufflächenmischungen, die da durchaus mitreinspielen.

Weiterhin beobachten wir, dass die Reifenhersteller eher dazu übergehen, Reifen mit besserem Rollwiderstand anzubieten als Reifen mit einer signifikant erhöhten Laufleistung, weil diese Anforderung stark von den OE (Original Equipment) Kunden getrieben wird.

Welche besonderen Merkmale weisen die Nutzfahrzeug-Reifen auf? Worin unterscheiden sich die LKW- von den PKW-Reifen?

Michael Koch: LKW-Reifen ist nicht gleich LKW-Reifen. Für LKW gibt es für die Achsen speziell entwickelte Reifen. Wir haben Lenkachsreifen, wir haben Antriebsachsreifen, und wir haben Trailer-Reifen, also Anhängerreifen, die alle speziell für diese Achsen entwickelt worden sind.

Zum einem muss ein Antriebsachsreifen Grip übertragen können und in allen Fahrsituationen eine starke Haftung zum Boden haben. Ein Lenkachsreifen muss die Lenkbewegung, die der Fahrer betreibt, sehr linear durchführen und dabei zuverlässig und direkt sein, während der Anhängerreifen eine sehr hohe Laufleistung mitbringen muss.

Zum anderen sind die Reifen entsprechend ihrer Auslegung, ihrer Form und ihren Profilen unterschiedlich aufgebaut. Im Vergleich zu PKW-Reifen unterscheiden sich die Reifen zum Beispiel im Luftdruck. Der Reifenluftdruck bei den LKW-Reifen liegt zwischen 7,5 und 9,5 bar, während bei PKW der Reifenluftdruck zwischen 2 und 3.2 bar liegt. Das ist auch der Grund, warum LKW in der Regel nicht so sensibel sind beim Aquaplaning wie PKW.

Die Reifendimension bei LKW variiert ebenfalls, denn für verschiedene Märkte gibt es unterschiedliche Fokusgrößen.

In der Laufleistung gibt es ebenfalls große Unterschiede. Wenn man sich zum Beispiel einen PKW-Reifen anschaut, dann hält er vielleicht zwischen 30.000-50.000 km, wohingegen der LKW-Reifen im Schnitt etwa 150.000-200.000 km je nach Anwendung hält (Regional- oder Fernverkehr). Dies kommt durch die erhöhte Profiltiefe und die eingesetzten Laufstreifenmischungen zustande.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Last, die ein LKW-Reifen trägt. Die Traglast ist bei einem LKW signifikant höher. Da sprechen wir teilweise von einer Traglast eines Reifens von fünf Tonnen, wohingegen der gesamte PKW in der Regel zwischen ein bis zwei Tonnen wiegt und von vier Reifen getragen wird.

Welche Anforderungen gibt es für Reifen auf einer Baustelle? Welche auf einer Langstrecke?

Michael Koch: Die Profile der Reifen sind unterschiedlich konzipiert. Wenn man sich den Baustellenreifen anschaut, ist er grobstollig aufgebaut. Das liegt daran, dass die groben Stollen einen Antrieb und eine Traktion auf losem Untergrund ermöglichen.

In der Regel sind die Baustellenreifen auch robuster ausgelegt, damit sie auch scharfkantigen Gegenständen wie spitzen Steinen standhalten können, die auf Baustellen möglicherweise herumliegen.

Auf der anderen Seite, wenn man auf einer Langstrecke im Fernverkehr unterwegs ist, sind die Reifen dahingehend optimiert, dass sie eine sehr hohe Laufleistung haben und zugleich einen sehr guten Rollwiderstand. Der sehr gute Rollwiderstand ist gerade für Langstrecken wichtig, damit ein LKW unter konstanten Bedingungen den besten Energieverbrauch oder den besten Spritverbrauch liefern kann. Gerade bei den aktuellen Dieselpreisen ist ein geringerer Verbrauch zunehmend von Bedeutung.

Kleiner Rückblick: Was ist in den letzten zehn Jahren auf dem Reifenmarkt passiert? Welche wichtigen Erkenntnisse wurden in den letzten Jahren gewonnen?

Michael Koch: Da gibt es sicherlich einige Sachen, also die Laufflächen selbst und die Reifenprofile haben sich besser auf die Anwendungen optimiert. Die Reifenprofile sind zum Beispiel über die Zeit und bei gleichbleibender Sicherheit dedizierter und filigraner geworden.

Weiterhin hat sich die Mischung in Bezug auf die Rollwiderstandsoptimierung verbessert. Im PKW-Bereich war das schon früher der Fall und jetzt geht es langsam im LKW-Bereich voran, dass Mischungen mit Silica auf den Markt kommen, um da den Zielkonflikt zwischen den Nassbremsen und dem Rollwiderstand auf ein höheres Level zu bringen. Gerade mit dem Einzug der Elektromobilität sehen wir, dass die Lastanforderungen an Reifen stetig höher werden.

Wo werden die neuen Reifenmodelle getestet und wie lange wird ein Reifenmodell getestet, bevor es auf dem Markt rauskommt?

Michael Koch: Das hängt von den technologischen Neuerungen in den neuen Reifenmodellen ab. Üblicherweise hat unser Reifenentwicklungszyklus mehrere Schritte.

Der erste Schritt ist die virtuelle Entwicklung, wo wir virtuelle Reifenmodelle aufbauen, Simulationen betreiben und Vorhersagen über die Reifenperformance anstellen.

Im nächsten Schritt entwickeln wir den ersten Prototypenreifen, wo wir die neuen Reifen formen, aufheizen, vulkanisieren, um anschließend intern auf unseren Testmaschinen, die wir an mehreren Standorten weltweit haben, zu testen.

Wenn diese Tests die gewünschten Ergebnisse liefern, gehen wir auf eines unserer Testgelände – zum Beispiel aufs Contidrom in der Nähe von Hannover oder nach Uvalde in Texas, USA, wo wir ein sehr großes Testgelände haben. Für besondere Tests wie z.B. Wintertests sind wir in Schweden unterwegs, um da die Reifen auf ihre Winterperformance zu untersuchen. Wenn all diese Vorabuntersuchungen und internen Tests abgeschlossen sind, dann kommen wir zum nächsten Schritt:

Wir wenden uns an besonders loyale und zuverlässige Kunden, mit denen wir die neuen Reifen testen. Darüber hinaus werden die neuen Reifen den Märkten entsprechend, für welche die Reifen zugelassen sind, getestet. Je nachdem, wie lange die Tests dauern und wie die Anwendungen sind, kann so ein Test zwischen sechs Monaten und bis zu zwei Jahren beanspruchen.

Zum Schluss, wenn die Ergebnisse vorliegen, gehen wir in die Serienentwicklung und geben den Reifen für die Serienproduktion frei.

Der gesamte Prozess kann, je nachdem, wie komplex die Thematik ist, zwischen zwei und fünf Jahre dauern.

Was halten Sie vom Konzept des luftlosen Reifens, z.B. wo statt Luft Lamellen eingesetzt werden? Könnte sich diese Idee auf dem Reifenmarkt etablieren?

Michael Koch: Die Idee ist natürlich sehr innovativ, wobei man auch sagen muss, dass diese Idee schon durchaus seit einigen Jahre existiert, sie wurde schon früher in anderen Industrien getestet.

Ich erinnere mich, dass die luftlosen Reifen auch in der Landwirtschaft getestet wurden. Da gab es aber das Problem, dass sich die Zwischenräume zwischen den einzelnen „Spikes“ immer mit Bodenmaterial zugesetzt haben und dann doch nicht den gewünschten Effekt gebracht haben. Man muss differenzieren, wo solche luftlosen Reifen Vorteile generieren und wo nicht.

Ich würde vermuten, im Offroad-Bereich eher nicht. Was den Onroad-Bereich betrifft, da ist noch einiges an Grundlagenforschung notwendig, um zu sehen, ob es denn wirklich ein Vorteil ist, den der Reifen bietet oder es sich einfach um ein anderes Konzept handelt. In der Performance scheint ein Vorteil offensichtlich zu sein, denn ein Reifen kann an Luft verlieren.

Dennoch ist die Frage, ob wir wirklich luftlose Reifen brauchen oder wir den Luftverlust über intelligente Reifen, z.B. durch ein sensorgestützes Frühwahnsystem, besser überwachen können?

Das ist die Richtung, in der die Marken Continental und Semperit unterwegs sind. Wir gehen Richtung intelligente Reifen und verbauen Sensoren, die die Reifen permanent überwachen und prüfen, ob z.B. der Reifen den Luftdruck und die Temperatur hält, oder der Reifen spontan heiß wird etc. In solchen Fällen wird der Fahrer sofort über die Änderung benachrichtigt.

Einer der nächsten Schritte wird sicherlich sein, zu schauen, wie wir den aktuellen Abriebzustand der Reifen ermitteln können. Das ist das, was sich Kunden häufig wünschen. Gerade die Kunden, die mit Flottenverträgen unterwegs sind, wollen nicht alle 50–60 Tage in die Werkstatt fahren, um die Profiltiefe zu messen. Die Kunden möchten gerne ein Tool haben, das dem Flottenbetreiber oder dem Fahrer sagt: „OK, in 30.000 km ist dein Reifenprofil so weit abgefahren, dass du einen neuen Reifen brauchst“ und nicht erst in die Werkstatt fahren, testen und nachmessen, denn das bedeutet verlorene Zeit auf der Straße. Und jede Zeit, in der ein LKW nicht auf der Straße unterwegs ist, ist verlorene Zeit.

Somit sehe ich die sensorgestützte Lösung als vielversprechend an. Ich möchte nicht sagen, dass luftlose Reifen eine Modeerscheinung sind, oder ein One-Hit-Wonder, das werden die nächsten Jahrzehnte entscheiden. Dennoch: Aktuell denke ich, dass wir den entscheidenden Vorteil, den geringeren Maintenance, den der luftlose Reifen mit sich bringt, durchaus auch mit konventionellen, luftgefüllten Reifen über Sensoren abbilden können.

Gibt es ein bestimmtes Merkmal, das am Reifen (abgesehen von der Form) unverändert bleiben muss?

Michael Koch: Aktuell, wenn wir bei den luftgefüllten Reifen bleiben, wird das auf jeden Fall die Karkasse sein. Die Materialien, aus denen die Karkasse besteht, werden sich vermutlich auch weiterentwickeln, werden vielleicht leichter und zusätzlich eine bessere Performance liefern können.

Der grundlegende Aufbau, dass der Reifen aus einer Stahlkarkasse und aus der luftdichten Innenschicht besteht und dass der Reifen zwei Wülste hat, damit er sich an die Felge anschmieden kann – da würde ich vermuten, dass er unverändert bleiben wird. Beziehungsweise wird er sich eher evolutionär weiterentwickeln als dass in den nächsten Jahren eine drastische Revolution stattfinden wird.

Im Sinne der Nachhaltigkeit: An welchen Materialien kann bei Reifen in der nahen Zukunft gespart werden?

Michael Koch: Die Frage ist, ob man an Materialen sparen soll oder Materialien verwenden soll, die in einer Kreislaufwirtschaft eingebracht werden können. Zum Beispiel das Gummimaterial wieder so aufzuarbeiten, dass es im Endeffekt dem neuen Rohstoff gleicht, der wiederverwendet werden kann.

Darüber hinaus den abgefahrenen Reifen mehrmals über Retreads (Runderneuerungen) wiederverwenden, weil die Karkasse üblicherweise so ausgelegt ist, dass sie auf jeden Fall ein bis zwei Retreads mitmachen kann. Allein in diesen Bereichen würde man schon viel Energie im Vergleich zur Herstellung eines neuen Reifens einsparen.

Wie sehen die Reifen der Zukunft aus: Gewicht, Profiltiefe, Materialien?

Michael Koch: In dem Moment, da die Laufflächenmischung immer besser in ihrem Abriebverhalten bei gleichem Rollwiderstand, oder sogar in einem verbesserten Rollwiderstand, werden, kann man dazu übergehen entweder den Reifen mit einer viel höheren Laufleistung anzubieten oder die Profiltiefe reduzieren, um die Laufleistung gleichzuhalten.

Diese Maßnahme hat den großen Vorteil, dass die Reifen dann leichter sind, sodass die Zuladung des Fahrzeugs optimiert werden kann. Bei gleichbleibender Laufleistung ist das so, dass die Runderneuerbarkeit der Reifen Stück für Stück wieder optimiert wird.

Dabei muss man je nach Applikation ein Optimum finden. Es würde vielleicht nicht zwingend Sinn ergeben, wenn man einen Reifen hat, der im ersten Leben 500.000 km hält, aber danach nicht runderneuert werden kann, anstatt einen Reifen zu nehmen der vielleicht nur 250.000 km hält, aber dafür zwei- bis dreimal runderneuert werden kann, sodass das Gesamtleben des Reifens dann um die 750.000 km bis 1.000.000 km reicht.

Das ist der Gegenstand der aktuellen Entwicklung. Wo final das Optimum zwischen Laufleistung und Rollwiderstand (Kraftstoffverbrauch) liegt, ist stark von der Anwendung, aber auch vom Dieselpreis abhängig. Dafür haben wir unterschiedliche Reifenlinien, um stets das optimale Produkt für unsere Kunden anbieten zu können.

Wie wir merken, gibt es viele Neuerungen, die in den kommenden Jahren auf die Nutzfahrzeugindustrie zukommen werden, wie die fortschreitende Elektrifizierung der Nutzfahrzeuge.

Und wie steht ihr zum Thema Reifen-Innovationen? Erzählt es uns in den Kommentaren!

Fotonachweis: © Adobe Stock Siwakorn​ | alexlmx

Was haltet ihr von der Idee der luftlosen Reifen?

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