Highway 666

Träume aus Chrom und Lack
Amerikanische Trucks sehen besser aus. Eine so pauschale Aussage mag in den meisten Fällen problematisch sein, aber in diesem Fall ist die Sache relativ klar. Die klobigen, kastenförmigen Frontlenker auf der einen Seite des Atlantiks, die riesenhaften, aber sehr viel eleganteren Langhauber auf der anderen. Im Vergleich zwischen Truckern in Europa und den USA ist das Aussehen der Fahrzeuge das erste, was auffällt.
Aussehen ist natürlich nicht alles und für die Unterschiede im Fahrzeugdesign gibt es praktische Gründe, aber beim ersten Blick nach Amerika kann schnell ein gewisses Neidgefühl entstehen, für das es allerdings noch andere Ursachen gibt als rein ästhetische.
Trucker als Helden
Wie so oft erscheint alles in Amerika größer, weiter, lauter und wichtiger. Im deutschsprachigen Fernsehen laufen diverse Doku- und Reality-Sendungen, die ein Bild von Abenteuer und Nervenkitzel vermitteln, der mit dem Trucker-Alltag in Nordamerika verbunden ist. Zahllose amerikanische Country-Songs erzählen von Truckern oder sind aus deren Sicht geschrieben. Ob in Fernsehserien oder Hollywoodfilmen, die Figur des Truckers ist immer positiv, oft sogar heldenhaft in Szene gesetzt.
Auch hierzulande drehen sich Trucker-Fantasien daher eher um Fahrten durch das ferne Monument Valley und charmante Diner am Straßenrand der Route 66, als um die Staus der A2 und fade Heißgetränke aus den Automaten der Raststätten.
Der wichtigste Grund für dieses hohe Maß an medialer Aufmerksamkeit ist natürlich eher wirtschaftlicher Natur. Es gibt in den USA ganz einfach sehr viele Trucker. So viele, dass sie für die Wirtschaft eine Zielgruppe sind, die gezielt angesprochen werden kann.
Häufigster Beruf in jedem US-Staat. (Trucker in blau.)[1]
Davon abgesehen ist aber naheliegend, dass die Darstellung in den amerikanischen Medien zu einer sehr positiven öffentlichen Wahrnehmung beigetragen hat und dass den Beruf des Truckers eine gewisse Cowboy- und Abenteuerromantik umgibt. In Europa scheint dies leider nicht im gleichen Maß der Fall zu sein.
R-E-S-P-E-K-T
Bei allen Diskussionen um Bezahlung und Arbeitsbedingungen wird manchmal vergessen, dass es noch einen weiteren Faktor gibt, von dem abhängt, ob wir einen Beruf gerne ausüben – vielleicht ist es sogar der wichtigste Faktor überhaupt:
Respekt.
Bringt mir die Gesellschaft als Arzt, Anwältin, Krankenschwester oder LKW-Fahrer den Respekt entgegen, den die Wichtigkeit der ausgeübten Tätigkeit verdient?
Wir sind nun mal soziale Wesen. Natürlich hilft es, selbst zu wissen, einen wichtigen Job auszuüben, aber es ist auch wichtig, dies von unseren Mitmenschen zu spüren. Wir wollen auf Partys, auf Familienfesten, in der Kneipe oder wenn wir uns verlieben unserem gegenüber voller Stolz erzählen können, was wir sind und was wir tun.
Manfred Krug oder doch lieber Sylvester Stallone
In Amerika scheint dies auf den ersten Blick der Fall zu sein. Politiker lassen sich gerne dabei fotografieren, wie sie Truckern kumpelhaft auf die Schultern schlagen und auch mal selbst Hand ans Steuer legen. Der LKW-Fahrer steht stellvertretend für gute, ehrliche Arbeit und hat als solcher Eingang in die amerikanische Kultur gefunden. Und das spiegelt sich nicht nur in der Musik, sondern auch im Kino wider.
Wer erinnert sich nicht an die vielen Filme der späten siebziger und achtziger Jahre, die einen Trucker als Heldenfigur haben? Der Mann aus San Fernando, Convoy, Over the Top und viele mehr.
Klar gab es bei uns mal eine Fernsehserie namens Auf Achse, aber das ist auch schon eine Weile her und die Country-Veteranen von Truckstop sind auch schon ziemlich in die Jahre gekommen.
Hinter der Fassade
Wie es scheint, hat Amerika Europa in Sachen Respekt und gesellschaftlicher Anerkennung also etwas voraus. Und auch die Bezahlung sieht auf den ersten Blick gut aus. Ungefähr 3.300 Euro im Monat kommen zusammen. Das lässt sich mit den Kollegen in Europa vergleichen.
Womit es sich allerdings nicht vergleichen lässt, sind die Gehälter, die Truckern in den siebziger Jahren gezahlt wurden. Damals konnten LKW-Fahrer in den USA gut 7.500 Euro im Monat verdienen[2]. Aber solche Gehälter wurden von Gewerkschaften ausgehandelt und die sind heutzutage in Amerika praktisch nicht mehr existent.
Ohne Gewerkschaften lässt sich der strategische Vorteil, den die Trucker eigentlich hätten (es fehlen nämlich ca. 50.000 Fahrer in den USA), nicht effizient ummünzen.
Und auch sonst verbirgt sich hinter der schillernden Fassade, die Hollywood und Nashville zusammengezimmert haben, eine ziemlich trostlose Arbeitsrealität. Denn entscheidend ist nicht nur die Höhe der Bezahlung, sondern auch, wie sie zustande kommt.
Am Limit
Heute werden die amerikanischen Trucker nicht nach Stunden, sondern nach Kilometern bezahlt. Es ist nicht schwierig sich vorzustellen, wozu das führt.
Immer am Tempolimit, immer noch eine Stunde mehr und noch eine und noch eine. Europäische Fahrer dürfen neun Stunden pro Tag am Steuer sitzen, amerikanische elf Stunden, und auch an dieses Limit halten sich die wenigsten[3]. Jede Stunde Schlaf kostet Geld, jeder Stau kostet Geld. Wo ein europäischer Trucker inmitten eines Schneesturms an die Seite fahren würde, hält sein amerikanischer Kollege nicht selten direkt drauf zu. Auch das Ein- und Ausladen der Ware wird selbstverständlich nicht bezahlt.
Hinzu kommt, dass das Eisenbahnnetz in Amerika überraschend unterentwickelt ist. Das heißt, dass auch die längsten Strecken von Truckern gefahren werden müssen. Und die längsten Strecken in Amerika sind lang – sehr lang. Für die Fahrer bedeutet dies, dass sie schon mal zwei bis drei Monate unterwegs sein können. Die Belastung für Partnerschaft und Familie ist enorm – wenn überhaupt Platz dafür bleibt.
Rotes Europa?
Nicht leichter machen es die vergleichsweise miserablen gesetzlichen Bedingungen für Arbeitnehmer in den USA.
Bezahlter Urlaub? – Fehlanzeige.
Krankenversicherung? – Für viele nicht erschwinglich.
Lohnfortzahlung im Krankheitsfall? – Wie bitte?!?
Kündigungsschutz? – Wir sind doch nicht die Sowjetunion.
Wenn man den Durchschnittsamerikaner über Sozialpolitik in Europa reden hört, kann der Eindruck entstehen, dass nicht der Westen, sondern der Ostblock den Kalten Krieg gewonnen hat. Dass diese Errungenschaften, die wir in Europa mit gutem Recht als selbstverständlich erachten, in Amerika fehlen, macht einen harten Beruf noch härter. Und von einem Gesetz, wie dem am 8. Juli 2020 für die EU endlich verabschiedeten Mobility Package zum Schutz der LKW-Fahrer (bei aller Kritik und Skepsis sicher ein Schritt in die richtige Richtung), können die Kollegen in der radikal deregulierten US-Arbeitswelt nur träumen.
Also alles super hier?
Diese Erkenntnis sollte nicht zu dem Fehlschluss führen „ist ja alles in bester Ordnung bei uns“. Denn es ist nicht alles in bester Ordnung! Probleme gibt es mehr als genug. Jeder Lastkraftfahrer könnte da seinen eigenen Country-Song zu schreiben. Man darf die Umstände, in denen wir leben, nie damit vergleichen, wie es andernorts ist, sondern nur damit, wie es bei uns sein könnte – ja, sein sollte.
Das Sahnehäubchen auf dem Kuchen
Schwieriger, als die Bedingungen des Arbeitsalltags zu verbessern, wird es sein, dem Beruf zu dem öffentlichen Ansehen zu verhelfen, den er verdient. Die Veränderung der Kultur einer Gesellschaft vollzieht sich leider nicht von heute auf morgen. So etwas dauert Jahre oder Jahrzehnte und lässt sich nur schwer erzwingen. Dass das Ansehen der Fahrer in Amerika höher ist als in Europa hat viele Gründe, die tiefer gehen als Filme und Musik.
Dennoch wird beim genauen Hinsehen deutlich, dass die tatsächliche Situation nicht besser als die ihrer Kollegen in Europa ist, eher im Gegenteil – sie sieht nur auf den ersten Blick besser aus. Das Sahnehäubchen kann noch so süß sein. Wenn der Kuchen darunter nicht schmeckt, nützt es herzlich wenig.
Quellen:
[1] https://www.npr.org/sections/money/2015/02/05/382664837/map-the-most-common-job-in-every-state
[2] https://www.nytimes.com/2017/05/22/insider/interviewing-truck-drivers-at-a-crossroads.html
[3] https://www.businessinsider.com/trucking-truck-driver-british-american-2018-8
Fotonachweis: © freepik
© IPUMS-CPS/ University Of Minnesota

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„Hinzu kommt, dass das Eisenbahnnetz in Amerika überraschend unterentwickelt ist“
Also das Streckennetz in den USA ist riesig – über 220.000 km, und dieselelektrische Loks mit mehreren tausend kW ziehen kilometerlange Züge. Dementsprechend liegt der Frachtanteil der Bahn dort bei 28 % – in Deutschland hingegen bei 19 %.
„Wo ein europäischer Trucker inmitten eines Schneesturms an die Seite fahren würde, hält sein amerikanischer Kollege nicht selten direkt drauf zu“.
Ersteres ist einfach vernünftiger – und damit zur Nachahmung empfohlen.
Und dann erinnere ich mich noch an eine Fahrt im März 2003 von London nach Dresden. Frühmorgens um vier nahm mich ein deutscher Fernfahrer von Oostende aus mit. Es setzte heftiges Schneetreiben ein – bald war die Fahrbahn schneebedeckt. Er fuhr völlig ungerührt mit Tempo 80 weiter.
Dabei erzählte er mir, das er früher Orient- Fahrer war, und auch im Winter durch Anatolien über Erzurum in den Iran fuhr. Das wären noch ganz andere Bedingungen gewesen.
Wahrscheinlich sprach er über den berühmt-berüchtigten 2500 Meter hohen Tahir Pass – im Winter eine eisbedeckte Schotterpiste.
Quellen:
https://railroads.dot.gov/rail-network-development/freight-rail-overview
https://de.statista.com/themen/4307/schienengueterverkehr/
Guten Morgen Werner,
wir danken Dir herzlich für Deinen Kommentar. Es ist immer wieder interessant, Geschichten direkt vom Asphalt zu hören und zu lesen. Wir wünschen Dir gute und sichere Fahrt – mit Glätte ist hier ja glücklicherweise gerade nicht zu rechnen.
Dein unermüdliches Redaktionsteam